FPÖ-Chef Herbert Kickl hat jüngst gemeint „Wir sind mittendrin in einem Wirtschaftskrieg, in dem leider Russland mit seinen Gasvorkommen die schärferen Waffen in der Hand hat“ (heute). Eine aktuelle Studie von Ökonomen und Wirtschaftswissenschaftern der Yale University zeigt allerdings eindrücklich, dass viel von der vermeintlichen „Resilienz“ der russischen Wirtschaft bloßes Gerede ist. Oder besser gesagt ein ziemliches Lügenmärchen.
Tatsächlich befindet sich die russische Wirtschaft in einem absoluten Sturzflug. Dass hunderte westliche Unternehmen das Land verlassen haben, hat nicht nur zu einem massiven Exodus an Kreativität und Innovationskraft geführt. „As a result of the business retreat, Russia has lost companies representing ~40% of its GDP, reversing nearly all of three decades’ worth of foreign investment and buttressing unprecedented simultaneous capital and population flight in a mass exodus of Russia’s economic base.“ Dazu kommen noch Sanktionen, die insbesondere den westlichen Export von Industriegütern und Vorprodukten für die verarbeitende Industrie in Russland eingeschränkt haben, und damit folgenschwer für die russische Wirtschaft gewesen sind. Sonnenfeld et al dokumentieren etwa einen dramatischen Rückgang in der Industrieproduktion, von allen möglichen Gütern wie Haushaltsgeräten bis hin zu Stahl. Sie zeigen zudem auch, dass viele kluge Köpfe Russland und dem autoritären Regime Putins den Rücken gekehrt haben.
Was da an Kritik an den Sanktionen gerade in den vergangenen Wochen verbreitet wurde, ist also oft „nicht zu Ende gedacht“. Einiges davon ist russische Propaganda, die versucht, die russische Wirtschaft als gesund und stabil darzustellen, während sie vor der größten Wohlstandsvernichtung seit der Russlandkrise 1998 steht. Wiederum andere Argumente sind „Strohmannargumente“, etwa wenn suggeriert wird, die Sanktionen hätten den Krieg noch nicht beendet. Klar ist: Nur Wladimir Putin kann den Krieg beenden, er hat ihn begonnen. Der liberale Westen kann allerdings die Kosten für diesen Angriff für ihn in die Höhe treiben.
Klar ist aber auch, dass die Gegensanktionen Russlands – insbesondere eingeschränkte Gaslieferungen für Europa – auch ihre Folgen haben. Hier sollte die EU nach sechs Monaten Zögern Einsicht haben, dass es nun gilt, alles zu unternehmen, um die Einkaufskosten für Gas zu senken, ein Einkäufer-Kartell zu bilden und gegebenenfalls auch mit Strafzöllen versucht werden müsste, die Kriegsgewinne der Gazprom abzuschöpfen. Vorschläge dazu liegen schon länger am Tisch.
Es ist klar, dass die Sanktionen gegen Russland auch mit Kosten verbunden sind. Aber darum geht es auch: Die Glaubwürdigkeit von Sanktionen hängt in zentralem Ausmaß auch davon ab, welche Konsequenzen man zu tragen bereit ist. Daher hängen die Probleme der europäischen Sanktionen auch eher mit ihren Lücken zusammen als mit ihrer Schärfe. Von Anfang an wollte man den Energiesektor möglichst umschiffen, Zahlungen aus dem europäischen in den russischen Bankensektor wurden über die Gazprombank weiter zugelassen, Gas- und Ölflüsse in den Westen sollten weitgehend stabil bleiben. Russland hat aber seinerseits die Exporte von Gas, Öl und auch Lebensmitteln in eine Waffe im Wirtschaftskrieg umfunktioniert. Ohne ein baldiges Kriegsende werden sich Russland und die europäische Wirtschaft weiter entflechten. Europa fehlt dann eine wichtige billige Gasquelle – Russland allerdings der wichtigste Absatz- und Importmarkt für ein Gros des eigenen Wohlstands. Putin weiß das, verfolgt aber eine aggressive Agenda, um das russische Territorium zu vergrößern. Er verfolgt geopolitische Ziele mit geoökonomischen Waffen, wie es die Sicherheitsexpertin Velina Tchakarova in unserem Webinar auf den Punkt gebracht hat. Das sollten auch die österreichische Politik und die heimische Wirtschaft nicht vergessen, wenn sie Sanktionen irrtümlich als Bumerang verunglimpfen.
Rund 1000 Unternehmen haben öffentlich angekündigt, Russland zu verlassen oder ihre Aktivität zu reduzieren. (Quelle: Yale SOM)