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1.000 Tage Krieg in der Ukraine – und kein Ende des russischen Angriffs in Sicht

Silvia Nadjivan
Silvia Nadjivan

Vor 1.000 Tagen hat Putins Russland Völkerrechtsbruch begangen und seinen Aggressionskrieg gegen die Ukraine mit immenser Brutalität begonnen. Vor dem Hintergrund teils unzureichender internationaler Hilfe, unzähliger Opfer und enormer Schäden stehen die Aussichten für die Ukraine aktuell nicht gut. Umso mehr muss sie jetzt unterstützt werden.

Als Russland am 24. Februar 2022 entgegen bestehenden Völkerrechts einen Angriffskrieg gegen die Ukraine begann und russische Truppen mit Panzern in fremdes Staatsgebiet einmarschierten, versetzte es Europa in die Zeit von Großmachtfantasien und Imperialismen des 19. Jahrhunderts. Rasch hatten die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit „Watershed moment“ und der deutsche Bundeskanzler mit „Zeitenwende“ die Begriffe für die Beschreibung des Paradigmenwechsels in der internationalen Politik parat. Die Bilanz im dritten Jahr des festgefahrenen Frontenkriegs mit einem zu 20 Prozent von russischen Truppen besetzten ukrainischen Staatsgebiet ist verheerend.

Status quo im völkerrechtswidrigen Angriffskrieg

Seit Kriegsbeginn sind laut dem ACLED Ukraine Conflict Monitor bisher 89.280 Raketenangriffe und Explosionen vorwiegend auf ukrainischem Boden verzeichnet. Die direkten Kämpfe zwischen den russischen Angreifern und ukrainischen Verteidiger:innen belaufen sich auf 26.128.

Dabei wird der Krieg laut Tagesspiegel zunehmend aus der Ferne geführt, d.h. die Zahl an direkten Bodenkämpfen zwischen den Kriegsparteien geht seit Kriegsbeginn zurück, während die Raketen- und Drohnenangriffe dagegen zunehmen. Seit einigen Tagen sind – wie von der NATO beobachtet und kritisiert10.000 nordkoreanische Soldaten im Grenzgebiet Kursk auf der Seite Russlands involviert, während die Ukraine nach einem Vorstoß 50.000 russische Soldaten nach eigenen Angaben in diesem Gebiet festhält.

Dagegen erstreckt sich der russische Angriffskrieg mittlerweile auf das gesamte Staatsgebiet der Ukraine. Mit etlichen Luftangriffen und folglich Explosionen hat der Kriegstreiber Wladimir Putin kürzlich im ganzen Land Luftalarm und in vielen ukrainischen Regionen Stromausfälle ausgelöst. Aus geopolitischem und geoökonomischem Kalkül richtet sich dieser Angriffskrieg in erster Linie gegen die ukrainische Zivilbevölkerung und zivile Infrastruktur.

Die UN-Untersuchungskommission spricht in ihrem Bericht aus dem Jahr 2023 von mutmaßlichen Kriegsverbrechen, die systematische Folter und Vergewaltigung, vorsätzliche Tötung und Verschleppung sowie gezielte Angriffe auf die Infrastruktur umfassen, sodass gegen den russischen Präsidenten Putin und weitere russische Entscheidungsträger:innen ein internationaler Haftbefehl erlassen wurde. Anklagepunkte für ein Strafverfahren in Den Haag – oder sogar vor einem Sondertribunal – gibt es viele.

Katastrophale demografische Folgen

Die Bevölkerungszahl in der Ukraine ist seit der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 um 10 Millionen geschrumpft. Die Zahl der zivilen Todesopfer kann derzeit nur schwer ermittelt werden, beläuft sich aber laut OHCHR auf fast 11.200, die Zahl der Verletzten auf fast 26.000 Menschen. Über 6,7 Millionen Menschen, darunter hauptsächlich Frauen und Kinder, sind laut UNHCR global als Flüchtlinge aus der Ukraine registriert, darunter fast 6,2 Millionen in Europa. Mit Blick auf die absoluten Zahlen haben Deutschland, Polen und Tschechien die meisten Flüchtlinge aufgenommen, Montenegro und die Republik Moldau die meisten gemessen an der Einwohner:innenszahl. Die Zahl der Binnenflüchtlinge beläuft sich auf mehr als 3,7 Millionen. So hat der brutale russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zur größten Bevölkerungsverschiebung seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. Nach aktuellen Prognosen könnte der Bevölkerungsrückgang in der Ukraine bis 2052 zwischen 21 und 31 Prozent liegen. Das sind nicht die einzigen negativen Kriegsfolgen.

Systematische Zerstörung der Energieversorgung

Täglich werden zivile Opfer und Schäden an der zivilen Infrastruktur gemeldet. Mehr als 1,4 Millionen Menschen haben in der Ukraine keinen Zugang zu fließendem Wasser. Erwartet wird im dritten Kriegsjahr der härteste Winter, weil Russland die Energieversorgung landesweit großteils zerstört hat, um den Leidensdruck der Bevölkerung zu erhöhen. Ruiniert sind fast alle Kohlekraftwerke, Wasserkraftwerke und Umspannwerke rund um die noch verbliebenen Atomkraftwerke. Die Sprengung des Kachowka-Staudamms letzten Juni führte zu erheblichen Überschwemmungen, wodurch zahlreiche Menschen ihre Häuser verlassen mussten. Der bisher schlimmste systematische Angriff auf die Stromversorgung erfolgte letzten Sommer, indem gleich 15 Regionen attackiert wurden. Die Energieversorgung liegt mittlerweile bei nur 30 Prozent.

Enorme Kriegsschäden in allen Lebensbereichen

Die vergleichsweise größten Zerstörungen durch Kriegshandlungen verzeichnen die ukrainischen Oblasten im Osten und Süden des Landes, wo vor allem sämtliche Wohngebäude (von Einfamilienhäusern zu großen Wohnhäusern) in unvorstellbarem Ausmaß betroffen sind (und zwar in den Regionen Donezk, Kyjiw, Luhansk, Charkiw, Mykolajiw, Tschernihiw, Cherson und Saporischschja). Enorme Schäden verzeichnen weiters die Landwirtschaft (mit ca. 8,7 Milliarden Dollar), der Gesundheits- und Bildungssektor (mit jeweils ca. 3,1 Milliarden Dollar). Zudem ist die Ukraine derzeit das am stärksten verminte Land weltweit. Die Kriegsschäden umfassen nicht zuletzt die Wirtschaftsleistung des Landes.

Desaströse wirtschaftliche Verluste und Wiederaufbau

Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Einnahmen, die der Kriegsverlauf verhindert hat, angefangen vom entgangenen Einkommen bis zu unterbrochenen Produktionen, Wirtschaftsströmen usw. betragen die wirtschaftlichen Verluste 290 Milliarden US-Dollar (Stand Februar 2023). Die Kosten für Wiederaufbau und Markterholung werden im Weltbank-Bericht vom Dezember 2023 auf 486 Milliarden US-Dollar geschätzt. Im Vergleich zum ukrainischen BIP, das 2023 bei 178,34 Milliarden lag, betragen diese Kosten das 2,7-Fache. Dafür verwendet werden sollen die seit den EU-Sanktionen gegen Russland im Westen eingefrorenen Reserven der russischen Zentralbank.

Die unerwarteten Nettogewinne der immobilisierten russischen Vermögenswerte werden bereits zur Unterstützung der ukrainischen Verteidigung und des Wiederaufbaus verwendet. Eingefroren sind (Stand September 2024) 24,9 Milliarden Dollar an privaten Vermögenswerten von sanktionierten Personen des russischen Regimes wie auch 210 Milliarden Vermögenswerte der russischen Zentralbank in der EU. Neben dem Wiederaufbau läuft trotz des Kriegs die europäische Integration der Ukraine. Im Juni 2024 haben neben der oft zögerlichen EU-Hilfe für die Ukraine die EU-Beitrittsverhandlungen begonnen. Seitens der NATO gibt es entgegen den Wünschen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zwar keine konkrete Beitrittsperspektive, allerdings verstärkte Hilfszahlungen noch vor dem bevorstehenden Amtsantritt Donald Trumps als US-Präsident.

Fazit: Ukraine-Hilfe bleibt Gebot der Stunde

Der noch amtierende US-Präsident Joe Biden hat den Ernst der Lage erkannt und plant, die rund 8,5 Milliarden Dollar, die der US-Kongress für die Ukraine-Hilfe bereits bewilligt hat, noch vor Trumps Amtsantritt am 20. Jänner 2025 der Ukraine zu übermitteln. Das bestätigte auch der ebenfalls scheidende US-Außenminister Antony Blinken bei seinem kurzfristig anberaumten Treffen mit dem neuen NATO-Generalsekretär Mark Rutte in Brüssel. Mit Blick auf Trump II zeigt man sich zu schnellem Handeln bereit. Blinken mahnte die europäischen Partner einmal mehr, die Ukraine zu unterstützen. Auch Rutte stimmte hier ein. Schließlich wird befürchtet, dass Trump die Hilfszahlungen an die Ukraine einstellen und diese zu einem Diktatfrieden mit Russland zwingen könnte.

Biden hat nach langem Zögern außerdem erstmals den Einsatz weitreichender westlicher Raketen gegen bestimmte Ziele in Russland erlaubt.

Dass Deutschland durch eine Regierungskrise derzeit international handlungsunfähig erscheint, beruhigt die internationale Lage auch nicht gerade. Denn es leistet als Einzelstaat nach den USA die größten Hilfszahlungen an die Ukraine. Auch wird insgesamt für 2025 eine deutliche Reduktion an internationalen Unterstützungsmaßnahmen befürchtet. Das hätte nicht nur fatale Folgen für die Ukraine, sondern auch für Europa. Wie im aktuellen Policy Brief des Kiel Instituts für Weltwirtschaft festgehalten, würde ein Sieg Russland über die Ukraine schwerwiegende Folgen für Deutschland mit sich bringen. Das würde bei weitem jene Kosten überschreiten, die es jetzt für die Ukraine aufbringt. Dieser Schluss kann für ganz Europa gezogen werden. Daher gilt nach 1.000 Tagen das Gleiche wie nach dem ersten Tag des Völkerrechtsbruchs: Die Ukraine muss weiterhin unterstützt werden.

(Bild: Bulgac/iStock)

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