Ein Policy Brief von Silvia Nadjivan und Lukas Sustala
Das Jahr 2024 gilt als Superwahljahr. Allein in der Europäischen Union sind von 6. bis 9. Juni 2024 über 400 Millionen Bürger:innen aufgerufen, zu den Urnen zu gehen. Dieser Policy Brief vergleicht die 5 österreichischen Parlamentsparteien und deren EU-Positionen von 1999 bis 2019.
Die Studie im Überblick
Das Jahr 2024 gilt als Superwahljahr, schließlich sind heuer in 76 Ländern mehr als 4 Milliarden Menschen wahlberechtigt. Allein in der Europäischen Union sind von 6. bis 9. Juni 2024 über 400 Millionen Bürger:innen aufgerufen, zu den Urnen zu gehen.
Anlässlich dieses „Superwahljahres“ gehen wir in diesem Policy Brief der Frage nach, wie sich die österreichischen Parteien verorten lassen bezogen auf ihre Positionen zu:
- EU-Integration
- freie Marktwirtschaft bzw. Deregulierung von Märkten
- gemeinsame EU-Umweltpolitik
Im ersten Schritt vergleichen wir die Standpunkte der fünf Parlamentsparteien ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grüne und NEOS, die teils völlig widersprüchliche Forderungen vertreten, von den „Vereinigten Staaten von Europa“ (NEOS) bis zum „Europa der Vaterländer“ (FPÖ).
Im zweiten Schritt ordnen wir die österreichischen Parteien in ihrer jeweiligen europäischen Parteienfamilie ein, um im europäischen Vergleich die entweder ausgeprägte liberale oder umgekehrt restriktive Haltung aufzuspüren.
Für die Analyse beziehen wir uns auf einen umfassenden, quantitativen Datenpool der Chapel Hill Expert Survey (CHES). Anhand von standardisierten, detailreichen Fragebögen evaluierten internationale Expert:innen die politischen Parteien im Untersuchungszeitraum von 1999 bis 2019.
Bei unserer Analyse werden diese Kategorien mit einer zentralen Querschnittskategorie (auf der x-Achse) in Beziehung gesetzt, nämlich GAL-TAN. Diese Kategorie erfasst das ideologische Spektrum von GAL – grün, alternativ, liberal – auf der einen Seite, und TAN – traditionalistisch, autoritär, nationalistisch – auf der anderen Seite. In diesem Sinn korreliert in der liberalen Parteienfamilie ein niedriger GAL-Wert mit einer hohen Zustimmung zur EU-Integration. Umgekehrt geht ein hoher TAN-Wert der rechtspopulistischen Parteienfamilie, der ID-Fraktion, mit einer auffällig niedrigen Zustimmung zur EU-Integration einher.
Für eine noch ausführlichere Longitudinal-Studie wäre eine interdisziplinäre Parteienforschung geeignet, wobei Organisations- und Kommunikationsformen von Parteien wie auch deren Strukturen komparativ untersucht werden könnten.
Dieser Policy Brief konzentriert sich angesichts der bevorstehenden EU-Parlamentswahlen auf die Ergebnisse der Chapel Hill Survey, zumal wir im Kontext gesamtgesellschaftlicher Trends auch die – auf den ersten Blick nicht gleich erkennbaren – Verschiebungen von Parteipositionen im über zwanzigjährigen Untersuchungszeitraum nachzeichnen wollen.
(Mehr über das Untersuchungsdesign liest du im Policy Brief ab Seite 5.)
- Die ÖVP setzt verstärkt auf antieuropäische Rhetorik, brüskiert ihre eigene Parteienfamilie (EVP) und ist damit nicht mehr die Europapartei, die sie einmal war.
- Ohne den Austritt ("Öxit") explizit zu nennen, propagiert die FPÖ ein „Europa der Vaterländer“ und damit ein Ende vieler bisheriger europäischer Errungenschaften und Vorteile für die Menschen in Österreich.
- Die Fraktion Identität und Demokratie, zu der u.a. die FPÖ und die AfD gehören, könnte die liberale Renew-Group stimmenmäßig überholen, ist allerdings so zerstritten, dass eine Vereinigung des rechten Blocks, gemeinsam mit den Rechtskonservativen (EKR), unwahrscheinlich ist.
- Die SPÖ, die in der gemeinsamen Regierung mit der ÖVP Österreich 1994 zur EU-Mitgliedschaft geführt hat, fordert soziale Gerechtigkeit und einen Green Deal (umfassende Klimapolitik) mit einem roten Herz. Klare Umsetzungsformen lassen sich darin weniger erkennen.
- Die Grünen wie auch ihre Fraktion EFA könnten bei den Wahlen deutliche Verluste einfahren, nachdem die „grüne Welle“ der letzten Europawahlen 2019 gebrochen scheint. Klimapolitik ist mittlerweile kein Alleinstellungsmerkmal der europäischen und österreichischen Grünen mehr.
- Im österreichischen und europäischen Vergleich erscheinen NEOS mit der Forderung nach den „Vereinigten Staaten von Europa“ als die proeuropäische Partei. Ihr EU-Wahlprogramm stimmt dabei mit dem Renew-Manifesto ihrer liberalen Parteienfamilie überein.
- Beim Vergleich der marktwirtschaftlichen Orientierung befürworten NEOS weniger staatliche Eingriffe und mehr Wettbewerb im Binnenmarkt, während SPÖ und Grüne auf stärkere staatliche Regulierungen und höhere Steuern setzen.
- Die vormals wirtschaftsliberale ÖVP hat in der Coronavirus-Pandemie mit ihrer Förderpolitik einen Kurswechsel vollzogen, während die FPÖ wirtschaftspolitisch nicht klar eingeordnet werden kann.
- Für die Grünen ist Klimaschutz ein zentrales Merkmal, bei anderen Parteienfamilien ist die Einstellung dazu viel diverser. Der European Green Deal wurde dennoch ohne die dominante Unterstützung der Grünen beschlossen.
(Die vollständige Liste der zentralen Aussagen findest du im Policy Brief ab Seite 1.)
Zahlen und Fakten
+ 400 Mio. Bürger:innen
sind bei den EU-Parlamentswahlen 2024 aufgerufen, zu wählen
zum 30. Mal
jährt sich 2024 der Abschluss der EU-Beitrittsverhandlungen Österreichs
20 Jahre
dieser Policy Brief untersucht die EU-Positionen der 5 österreichischen Parlamentsparteien zwischen 1999 und 2019